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Dignified Design — Würdevolles Design

verfasst von benedikt hassert (work in progress: stand 10/2023)  Creative Commons:(CC BY-NC-ND 4.0) 

unsere höchste gesellschaftliche verantwortung ist es, räume und plätz zu schaffen die für ein jeden gleichberechtigt und vorurteilslos nutzbar sind. erst dadurch wird ein würdevolles leben für jeden menschen ermöglicht. dignified design — also würdevolles design — ist ein entwurf zur demokratisierung von zielgruppen-orientierter produktgestaltung und soll dabei helfen barrierefreie produkte inklusiver zu gestalten.

inhaltsverzeichnis

a prolog: abstract & bestreben

inklusion ist kein zeitgeist-bedingtes gedankenkonstrukt, tugendhafte umgangsform, edles soziopolitisches ziel oder nur temporäres phänomen, sondern ist ein gemeingesellschaftliches bestreben gleichheit für alle menschen zu schaffen. inklusion ist als höchstes soziales ziel zu verstehen, das jeglichem demokratischen und allem sozialen handeln als grundvoraussetzung dient. es ist die wurzel eines gesunden miteinanders und einer gedeihenden teilhabe. von gelungener inklusion spricht man, wenn jeder mensch — mit und ohne behinderung — überall und von beginn an dabei sein kann, z. B. in der schule, am arbeitsplatz, im wohnviertel, in der freizeit. alle menschen können selbstbestimmt am gesellschaftlichen leben teilnehmen. menschen mit behinderungen müssen sich nicht mehr integrieren und an die oder der umwelt anpassen. vielmehr ist die gesellschaft von vornherein so gestaltet, dass alle menschen gleichberechtigt und barrierefrei leben können. barrierefreiheit ist ein wichtiger bestandteil der inklusion. produkte, die durch ihre anwendung eine mögliche körperliche oder geistige beeinträchtigung oder eben barriere verhindern oder ausgleichen, haben somit einen erheblichen einfluss auf die demokratisierung in der nutzung unserer umwelt. produkte sind für eine funktionierende inklusion unabdingbar. inklusiv gestaltete produkte helfen & unterstützen und machen möglich & verhindern, sie können alters- & kindergerecht, skalier- & höhenverstellbar, ergonomisch & entlastend, farbkodiert & kontrastreich, ungefährlich & sicher, lindernd & heilend sein. die produktgestaltung hat, neben diesen primären zielen, auch die aufgabe einen rezeptionswandel in bezug auf barrierefreiheit herbeizuführen. ein barrierefreies leben ist nur dann möglich, wenn jegliche personenbezogenen defizite, abhängigkeiten und bedürfnisse als normal und nicht ungewöhnlich oder entrückt gelten sowie generell ein würdevoller umgang mit eben diesen erfordernissen gewährleistet wird. damit einem jeden ein selbstbestimmtes und damit ein »leben in würde« garantiert werden kann. wie ist es möglich barrierefreie produkte so in unser umfeld zu integrieren, dass diese im alltag nicht als solche erkannt und stigmatisiert werden, jedoch für die nutzer gut erkennbar sind/bleiben? ist es möglich barrierefreiheit so zu gestalten, dass diese von der gesellschaft als bedingter standard definiert wird? wie kann barrierefreiheit inklusiv gestaltet werden? diese fragen sind gegenstand der forschung in dieser arbeit. ein besonderes augenmerk liegt dabei auf der frage, inwieweit die »würde des menschen« als wert und empfindung durch die produktgestaltung geschützt werden kann.

b hypothese: dignified design

die zentrale idee der inklusion ist, dass menschen in ihrer individuellen vielfalt (mit und ohne behinderung) von anfang an gemeinsam in allen lebensbereichen selbstbestimmt leben und zusammenleben. ob beim einkaufen, am arbeitsplatz, in der schule, auf veranstaltungen, in vereinen oder im kreis der familie: jeder wird von der gesellschaft so akzeptiert, wie er ist, und kann ein leben ohne barrieren führen. das antonym exklusion definiert sich als die ausgrenzung von menschen aufgrund ihrer individuellen unterschiede oder beeinträchtigungen. ein blick in die jüngere vergangenheit zeigt den wandel, der hier inzwischen eingesetzt hat. zum beispiel lebten noch vor rund 25 jahren viele der älteren menschen oder menschen mit behinderung in heimen am stadtrand, hatten nur geringe möglichkeiten, am gesellschaftlichen leben teilzunehmen. heute lebt ein großteil von ihnen in betreuten wohngruppen oder mit assistenz im eigenen wohnraum wie beispielsweise in wohngemeinschaften, die eigenständiges wohnen barrierefrei ermöglichen. betroffene haben ein hohes maß an selbstbestimmung.
darüber hinaus ist inklusion ein menschenrecht, das im übereinkommen der vereinten nationen über die rechte von menschen mit behinderungen, die UN-behindertenrechtskonvention, festgeschrieben ist. deutschland hat 2009 die vereinbarung unterzeichnet und seitdem die aufgabe, das übereinkommen auf nationaler ebene umzusetzen.
die 2015 von den vereinten nationen (UN) verabschiedeten 17 ziele für nachhaltige entwicklung nennen inklusion bei mehreren punkten, z. b. 4: »gewährleistung einer inklusiven und hochwertigen bildung für alle und förderung lebenslangen lernens« (»ensure inclusive and quality education for all and promote lifelong learning«)1 11: »städte inklusiv, sicher, belastbar und nachhaltig machen« (»make cities inclusive, safe, resilient and sustainable«)2 oder 16: »förderung gerechter, friedlicher und inklusiver gesellschaften« (»promote just, peaceful and inclusive societies«)3.
welche funktion hat das design im bezug auf inklusion? inklusiv-gestaltete produkte helfen den betroffenen dabei einschränkungen funktionell zu überwinden, indem sie potenzielle defizite ausgleichen und minimieren. ebenso wird dem design die aufgabe zu teil mittels bewusster gestaltung genesungs- und heilungsprozesse zu fördern und zu unterstützen. design hat die möglichkeit das allgemeine wohlbefinden zu steigern. so können produkte beispielsweise durch ihre funktionen den alltag von uns menschen erleichtern oder haben die fähigkeit durch ihre ästhetischen merkmale unser leben mit positiven emotionen zu bereichern. allen moore spricht vom ›geistigen und materiellen wohlbefinden‹ und schreibt hierzu: »wir können das design in den dienst des menschlichen geistes stellen, sodass es uns körperlich und geistig stärkt und mit der menschlichen natur verbindet. design erhebt uns, nährt uns und bereichert unser leben. es vereint unser geistiges mit unserem materiellen wohlbefinden.«4 und meint weiter: »die schnittstelle zum design ist die menschlichkeit. erfolg bedeutet, dass wir einen der menschheit dienenden kulturellen beitrag leisten — egal in welchem maßstab. gelungenes design zeichnet sich dadurch aus, dass es anderenen menschen ermöglicht, etwas zu fühlen, mit ihren sinnen zu erfahren, vielleicht sogar angenehm überrascht zu werden — eine beglückende erfahrung. [...] wir denken schönheit nicht — wir fühlen sie, wir spüren sie, wir erkennen sie.«5 design hat folglich die aufgabe unser aller leben — mit und ohne behinderung — schöner und einfacher zu gestalten, um somit unser allgemeines wohlbefinden zu steigern. produkte sollen uns, mit ihren ästhetischen mehrwerten, emotional bereichern und mit ihren funktionellen lösungen körperlich und geistig unterstützen, damit wir für uns bedeutendere teilaspekte des lebens in den fokus unserer zeit rufen können. inklusiv zu designen bedeutet diese errungenschaften auch für jeden menschen zu designen. bereits 1985 entwickelte der gehbehinderte us-architekt und industriedesigner ronald l. mace hierfür den begriff »universal design«. »he coined the term, universal design to discribe the concept of designing all products and the built environment to be aesthetic and usable to the greatest extend possible by everyone, regardless of their age, ability, or status in life. he was also a devoted advocate for the rights of people with disabilities which is reflected in his work.«6 er veröffentlichte einen artikel unter dem titel »universal design: barrier free environments for everyone«7. die kernaussage dieser publikation lautet: design muss alle nutzerinnen und nutzer mit einbeziehen, nicht nur den durchschnitt, mehrheitliche nutzergruppen oder menschen die als »abnorm«, »außergewöhnlich«, »beeinträchtigt « oder »mit behinderung« bezeichnet werden. aus diesem leitartikel erarbeitete das »center for universal design« der nc state university 1997 sieben design-prinzipien8:

  • prinzip 1: breite nutzbarkeit
  • prinzip 2: flexibilität im gebrauch
  • prinzip 3: einfach und intuitive handhabung
  • prinzip 4: sensorische wahrnehmbare informationen
  • prinzip 5: fehlertoleranz
  • prinzip 6: geringer körperlicher aufwand
  • prinzip 7: erreichbarkeit und zugänglichkeit

dabei geht es nicht mehr nur um spezielle produktlösungen für wenige, sondern um erleichterung für alle. »universal design meint nicht spezifische produkte für bestimmte gruppen von menschen, sondern gute gestaltung für alle lebensabschnitte und -gegebenheiten.«9 »der begriff ›universal design‹ setzt sich mit diesem wunsch auseinander und fordert intelligente lösungen für alle lebensbereiche und für sämtliche altersgruppen.«10 der einschluss aller menschen in die produktentwicklung bedeutet auch auf die ästhetischen, emotionalen und funktionellen anforderungen von eben allen menschen einzugehen. im dialektischen sinne müssten diese werte infolgessen gar losgelöst vom menschen sein, um in der gesamtheit gültigkeit zu haben. jeder mensch ist ein individuum mit eigenem verlangen, eigenem anspruch, eigenen beeinträchtigungen und eigener geschichte. die komposition dieser individuellen merkmale und kontexte sind einzigartig. inklusion bedeutet in der konsequenz auf all diese komplexe einzugehen. damit die größtmögliche inklusion funktionieren kann, müssen in der produktgestaltung geistige wie körperliche krankheitsbilder, geschlechtliche bedingungen, alters- und körpergrößenabhängige einschränkungen zum neuen normativ werden, statt nur nach dem kleinsten gemeinsamen nenner zu suchen. die gestaltung von barrierefreien produkten sollte implizite und ungewollte stigmatisierung der nutzer(gruppen) vermeiden. barrierefreie produkte müssen jedem abhängigkeitslos zugänglich gemacht werden, d. h. unabhängig von der persönlichen lebenssituation. faktoren wie finanzielle mittel, wohnraum, alter, krankheit, erwerbs- und geschäftsfähigkeit oder persönlicher oder kultureller hintergrund des jeweiligen nutzers dürfen bei der produktgestaltung keinem primären entwurfsziel entsprechen. daraus kann man folgende hypothese ableiten:

»barrierefreiheit darf nicht als solche kommuniziert werden, wenn sie inklusion fördern will/soll.«

eine große rolle bei der inklusion von menschen spielt die allgemeine rezeption in der gesellschaft. menschen mit behinderung oder erkennbaren beeinträchtigungen werden oft unweigerlich von der gesellschaft bewusst oder unterbewusst stigmatisiert und als subaltern vorverurteilt. menschen die auf unterstützung durch andere menschen oder von produkten abhängig sind, sind macht ihrer abhängigkeit in ihrer selbstbestimmung eingeschränkt. durch die geringere autonomie sind die betroffenen auch in ihrem selbstwert und dadurch bedingt in der entfaltung ihrer würde benachteiligt.
die würde hat also zwei seiten. sie ist einerseits unabdingbar, da sie dem menschen unveräußerlich zu eigen ist. sie ist andererseits bedingt durch die umwelt, die ein solches bewusstsein ermöglicht. menschenwürde ist laut duden ein »achtung gebietender wert, der einem menschen innewohnt«, ebenso ist die würde als »bewusstsein des eigenen wertes [und dadurch bestimmte haltung]« definiert11. wobei die würde nicht an wertvorstellungen gebunden ist. sie ist losgelöst von erstrebenswertem verhalten oder moralisch gut betrachteten eigenschaften beziehungsweise qualitäten, die objekten, ideen, praktischen bzw. sittlichen idealen, sachverhalten, handlungsmustern, charaktereigenschaften oder auch gütern zugesprochen werden12.
in anbetracht dieser diskrepanz in der inklusion ist es von großer wichtigkeit die würde eines jeden menschen in die produktgestaltung miteinzubeziehen, um jedem menschen in seiner independenz zu stärken. hierfür ist den produktgestalterinnen und produktgestaltern ein gedankenwandel abzuverlangen der diese haltung in den gestaltungsprozess integriert, die würde als gestaltungsintention mit aufnimmt und produkte nicht implizit vorverurteilt kommunizieren lässt. unsere höchste gesellschaftliche verantwortung ist es, räume und plätz zu schaffen die für ein jeden gleichberechtigt und vorurteilslos nutzbar sind. erst dadurch wird ein würdevolles leben für jeden menschen ermöglicht. »dignified design« — also würdevolles design — ist als entwurf zur demokratisierung von zielgruppen-orientierter produktgestaltung zu verstehen.
folgende ansätze können dabei helfen barrierefreie produkte inklusiver zu gestalten:

c lösungsansätze

1 individualisierung/selbstbestimmung/autonomie

ein würdevolles leben oder in würde zu leben ist immer nur dann möglich, wenn einem individuum größtmögliche freiheit in der (selbst-)bestimmung seines lebens zu teil wird — auch autonomie genannt. immanuel kant deklariert in »grundlagen zur metaphysik der sitten« das moralphilosophische theorem: »die autonomie ist der grund der würde der vernunftwesen und das echte prinzip der moral.«13 kant gibt dem menschen die möglichkeit, durch die eigenschaften des vernunftwesens über sich selbst zu bestimmen und spricht dem menschen dadurch eine zweckmäßige würde zu. mit anderen worten: solange ein mensch eigenständig über sein leben walten und entscheidungen ohne abhängigkeiten treffen kann, hat dieser die möglichkeit würdevoll zu leben. folglich ist (nach kant) die autonomie eine notwendige bedingung der würde. somit ist die autonomie als elementar für inklusives produktdesign zu verstehen. selbstbestimmung, also die persönliche entscheidungsgewalt in unabhängigkeit von bedingungen, gegebenheit und stigmata, ist für eine gesamtgesellschaftliche inklusion von erheblicher bedeutung. der selbstwert und die extrinsische wie intrinsische achtung eines jeden menschen ist maßgeblich von der freien und individuellen willensbestimmung abhängig. erst die vom zwang gelöste souveränität macht einen menschen handlungsfähig — verleiht diesem dadurch das bewusstsein des eigenen wertes und macht den menschen somit zu einem in würde lebenden wesen. die umgebungen und bedürfnisse bestimmen und ermöglichen die autonomie eines jeden menschen. physische und psychische beeinträchtigungen lassen, durch ihre(n) spezifischen kontext(e) bedingt, in hohem maße das objektive sowie subjektive lebensumfeld unfrei werden. eine ermächtigungsstrategie, auch »empowerment«, im sinne von maßnahmen die menschen dabei helfen ein selbstbestimmtes und unabhängiges leben zu führen, muss daher gefördert werden und sind teil der inklusion. in der produktgestaltung kann durch eine gezielte individualisierungmöglichkeit des produkts die selbständigkeit des nutzers gefördert werden und damit menschen zu einem würdevollen leben ermächtigt werden. auf der einen seite gibt diese anpassungsfähigkeit dem nutzer die ermächtigung das produkt und damit das/sein umfeld mitzubestimmen. auf der anderen seite ermöglicht es dem nutzer das produkt auf seine jeweiligen bedürfnisse und anforderungen anzupassen sowie mögliche körperliche oder geistige defizite auszugleichen oder zu verhindern. produktindividualisierungen sind größtmöglich inklusiv, wenn der nutzer das produkt an die persönlichen (teils sehr komplexen) bedürfnisse anpassen und die veränderungen dabei eigenständig durchführen kann.

2 monofunktional versus multifunktional

barrierefreie produkte mit einer monofunktionalität vermitteln den vorsatz der notwendigkeit für menschen mit geistigen oder körperlichen einschränkungen und menschen mit speziellen produktbedürfnissen. dient ein produkt einem einzigen zweck so muss diese funktion für jeden nutzer eindeutig anwendbar sein, frei von vorhandenem oder fehlendem vorwissen oder erfahrungsstand. selbstzweck eines monofunktionalen produkts ist die klare und eindeutige vermittlung von zweck und nutzen. die intention und typologie ist verständlich und ermöglicht somit eine sichere interpretationsfreie anwendung. im umkehrschluss erzeugt ein, klar für jeden verständlich gestaltetes produkt auch eine eben gerade mit diesem einzeleinsatzgrund potenziell diskreditierend und diskriminierende wirkung für jeden nutzer mit einem spezifischen bedarfsgrund an ein solches produkt. ebenso exkludiert es indirekt jeden anderen nutzer. wesensmerkmale eines produkts, wie verständlichkeit und individualität werden gefördert, gleichbedeutend wird aber auch die sichtbarkeit der körperlichen und geistigen anforderungen des nuzters deutlicher kommuniziert. ein mehrnutzen hingegen bezieht weitere nutzer in die anwendung des produkts ein und lässt es nicht mehr einem eindeutig bestimmten einschränkungs-ausgleichendem zweck zuordnen. es involviert jeden menschen mit und ohne behinderung oder einschränkung und ist damit inklusiv indem es diese gleichstellt. multifunktional-gestaltete barrierefreie produkte kommunizieren vielwertigkeit eines produkts, diversität in der interpretation der nutzungsmöglichkeiten und lassen somit z. b. krankheitsbestimmte notwendigkeiten nicht erkennbar werden. vielseitig einsetzbare und universell interpretierbare produkte ermöglichen einen allgemeinen einsatz und sind damit nicht direkt bedürfnisorientiert. ein produkt mit mindestens zwei voneinander getrennten (aber nicht unbedingt voneinander unabhängigen) hauptaufgaben definieren ein mulitfunktionales produkt. im sinne der barrierefreiheit müssen diese primärfunktionen hierbei in ihrer funktionellen wertigkeit gleichgestellt sein und damit die gewichtung der einsatzfähigkeiten ausgeglichen werden. je weiter diese funktionalen aspekte divergieren, desto unbestimmter wird die produkttypologie und damit die einsatzintention. allerdings wird auch gleichbedeutend der produktzweck für den nutzer diffuser, da vielschichtiger und damit schwieriger verständlich, deut- und vermittelbar.

3 ästhetischer umgang

ein weiterer wichtiger aspekt ist die ästhetische ausgestaltung von lösungen für barrierefreie räume. hierbei ist die produktsprachliche position im kontext anderer produkte zu sehen. ein produkt für barrierefreiheit sollte seine zweckmäßigen besonderheiten oder eigenschaften nicht merklich erkennbar verständigen, um eine pauschale vorverurteilung der vom produkt abhängigen nutzer zu verhindern. produktgestaltung, im ästhetischen sinne, darf ebensowenig die intention einer gestalterischen stigmatisierung verfolgen. die barrierefreiheit eines produkts wird weder durch die (viel-)farbigkeit noch durch die rundhaftigkeit der form oder auch »freundlichkeit« als barrierefrei definiert, sondern allein durch ihren verwendungszweck. jene oberflächlichen attribute fördern die verurteilung der nutzer nicht nur in der direkten kommunikation, sondern bescheinigen dem anwender auch explizit eine motorische einschränkung, indem pauschal davon ausgegangen wird der nutzer könnte sich an spitzeren radien/kanten verletzen/stoßen. oder sie verallgemeinern und vorverurteilen das die allgmeine lebenssituation eines menschen mit beeinträchtigung, per se einer besonderen ergonomischen formgebung bedarf. desweiteren stigmatisiert der bewusste mehreinsatz von vielfarbigkeit gegenüber vergleichbaren, nicht-barrierefreien produkten dem betroffenen ein defizit an farbe im alltag. diese voreingenommenheit attestiert ein »farbloses«, »eintöniges« und »tirstes«, also in der interpretation gleichbedeutend unglückliches leben, das vermeintlich mittels farbe, extra »aufgefrischt«, »freundlicher« und »spaßiger« gestaltet werden muss. um das gemeinverständnis im bezug auf barrierefreie produkte weiter zu erhöhen, ist es zum beispiel nötig die etablierung verschiedenster, innovativer und hochwertiger materialien zu forcieren.
eine weitere facette in der kommunikation ist, dass dem nutzer das urteilsvermögen abgesprochen wird ein barrierefreies produkt nur dann interpretieren zu können, wenn die anzeichenfunktionen eindeutig und unmissverständlich ausgeprägt sind (siehe hierzu auch vorangegangenen absatz »monofunktional vs multifunktional«). eine optische integration dieser produktlösungen in die kontexte unsere umgebung ist notwendig, da diese diffamierenden interpretationen vorbeugt und der ästhetische umgang die rezeptive und reflexive qualität steigert und damit demokratisiert.

4 finanzielle zugänglichkeit

um jedem menschen die zugänglichkeit von barrierefreiheit zu ermöglichen müssen die entsprechenden produkte am markt erschwinglich werden. eine preisnivilierung zu standardprodukten ist hier ein muss, damit eine möglichst demokratisch verbreitung der barrierefreiheit herbeigeführt werden kann. ein möglicher ansatz wäre barrierefreiheit zum verbindlichen, auch rechtlichen kodex neuer normalität werden zu lassen. nur eine progressive omnipräsenz von barrierefreiheit lässt diese in der gesellschaft dispersiv werden und trägt dazu bei, dass diese von der gesellschaft vollständig assimiliert wird. damit dies gemeingesellschaftlich funktionieren kann, darf dem produkterwerb keine erhöhte und zusätzliche monetäre repression vorausgesetzt sein. menschen mit einer körperlich- und/oder geistigen beeinträchtigung sind oft in ihrer erwerbfähigkeit eingeschränkt oder gänzlich von externen finanzquellen abhängig und infolgedessen pekuniär ungleichgestellt. personen mit beeinträchtigungen, die auf barrierefreie produkte und ausstattungen angewiesen sind, dürfen nicht unter dem verdikt finanzieller kalkulative exkludiert werden. nicht nur privatanwenderinnen und privatanwender, sondern auch unternehmen sowie staatliche und öffentliche einrichtungen sollten nicht in ihrer entscheidung für mehr diversität von potenziellen mehrkosten abgeschreckt werden. auf dem arbeitsmarkt soll z. b. die anstellung einer person mit behinderung oder mehrfachbehinderung nicht erhebliche pre-investments für den arbeitgeber bedeuten.
auf der anderen seite ist es wichtig produktlösungen anzubieten die als referenz-produkte im hoch- bzw. höher-preisigen sektor angesiedelt sind und das produktspektrum weiter demokratisch um das luxus-segment erweitern, dies ermöglicht eine gleichstellung von menschen mit beeinträchtigungen in unserer gesellschaftlichen auffassung. eine mögliche herangehensweise ist der einsatz hochwertiger und teuerer materialien (siehe auch vorangegangenen absatz »ästhetischer umgang«), sowie neusten verarbeitungstechnologien und aufwendigen marketingkampagnen.
es liegt in unserer sozialen verantwortung erschwingliche und gleichwohl begehrenswerte, barrierefreie produkte anzubieten und etwaige zusatzkosten für die allumfassende integration aller menschen vorzusehen und zu kompensieren. ebenso ist es unser auftrag einen anschaffungsanreiz für inklusiv gestaltete produkte zu generieren, um jedem menschen konsequent eine ausschlusslose teilhabe in allen lebensbereichen zu garantieren.

5 systemische integration

nicht zuletzt aus finanziellen gründen ist oftmals eine adäquate, der individuellen beeinträchtigung gerecht-werdende ausstattung, nur erschwert möglich. inklusive räume und produkte zu gestalten bedeutet auch immer einen erhöhten aufwand beim entwurf und der technischer umsetzung einzukalkulieren. die besonderen produkt- und raumansprüche erfordern neben technischem und konstruktionellem verstehen, auch ein anatomisches bzw. ergonomisches und psychologisches (auch empathisches) verständnis. bei der realisierung der barrierefreiheit ist über den gesamten entwicklungsprozess hinweg, eine gesonderte sachkenntnis von allen beteiligten gewerken erforderlich — von der produktgestaltung über die architektur bis hin zum ausführenden handwerk. eine große hürde stellen hierbei die technischen anforderungen dar, die an ein norm-gerechte ausstattungslösung und raumkonzept beauftragt sind und damit einen, für die allgemeinheit, sicheren einsatz und eine problemfreie nutzung garantieren sollen.
bestehende räume barrierefrei und in miteinbezug diverser din-normen nachzurüsten ist oftmals nur teilweise möglich und je nach räumlicher gegebenheit und materieller struktur auch ausgeschlossen. zum tragen kommen hier beispielsweise die din18040: barrierefreies bauen oder für sanitärräume din18534: vorschriften für abdichtung von innenräumen.
aufgabe eines barrierefreien produkts muss es sein antworten für alle etwaigen bautechnischen situationen und substanzen anbieten zu können. nur die möglichkeit einer nicht-invasiven oder minimal-invasiven einbindung im sinne der nachrüstung ermöglicht eine ganzheitlich-systematische inklusion. sogenannte retrofit-lösung müssen die transformative qualität aufweisen, sich in den realbestand unserer umgebung einzupassen und sich sowohl in ihrer technischen natur als auch aus jeglicher ästethischer hinsicht in diese voll zu integrieren. der mehraufwand bei der montage von produkten für einen barrierefreien raum erschweren deren einsatz und konterkarieren eine systemische integration.

d literaturverzeichnis

1 Education — United Nations Sustainable Development in: United Nations Sustainable Development
URL:  https://www.un.org/sustainabledevelopment/education/ (abgerufen am 15. Juni 2023)
2 Cities — United Nations Sustainable Development Action 2015 in: United Nations Sustainable Development
URL: https://www.un.org/sustainabledevelopment/cities/ (abgerufen am 15. Juni 2023)
3 Peace, justice and strong institutions — United Nations Sustainable Development in: United Nations Sustainable Development
URL: https://www.un.org/sustainabledevelopment/peace-justice/ (abgerufen am 15. Juni 2023)
4 Vgl. Moore, Alan: Design/Warum das Schöne wichtig ist, Tempo; 1. Edition, 2018, S. 20, »Die Wurzel des Designs«.
5 Vgl. Moore, Alan: Design/Warum das Schöne wichtig ist, Tempo; 1. Edition, 2018, S. 45, »Die Welt ist sinnlich und voller Strukturen«
6 The Principles of Universal Design in: Universal Design Consortium
URL: http://www.udcinc.org/Universal Design.html (abgerufen am 15. Juni 2023)
7 Vgl. Mace, Ron: Universal Design: Barrier Free Environments For Everyone, Center of Universal Design, NC State University, 1985.
8 Vgl. The 7 Principles In: What is Universal Design, Centre for Excellence in Universal Design
URL: https://universaldesign.ie/what-is-universal-design/the-7-principles/
9 Vgl. Herwig, Oliver: UNIVERSAL DESIGN Unsere Zukunft gestalten Designing Our Future , IDZ | Internationales Design Zentrum Berlin e.V., Berlin, 2008, S. 51, »Einfach gut für alle. Im Universal Design liegt unsere Zukunft«.
10 Vgl. Herwig, Oliver: UNIVERSAL DESIGN , Birkhäuser Verlag AG, Basel/Boston/Berlin, 2008, S. 18.
11 Wür­de, die — Bedeutung in: Duden Wörterbuch Online
URL: https://www.duden.de/rechtschreibung/Wuerde/ (abgerufen am 22. Juni 2023)
12 Vgl. Wertvorstellung in: Wikipedia.org
URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Wertvorstellung/ (abgerufen am 16. Juni 2023)
13 Grundlagen zur Metaphysik der Sitten, GMS 2. Abs. (III 62, 66) auch Rudolf Eisler: Art. Würde in: Kant-Lexikon. Nachschlagewerk zu Kants sämtlichen Schriften, Briefen und handschriftlichen Nachlaß, Berlin 9. A. 1930.
URL: https://www.textlog.de/eisler/kant-lexikon/wuerde/ (abgerufen am 16. Juni 2023)